Heute ist der 2. April. An einem anderen 2. April hatte ich einen Autounfall. Ich kann Autofahren, tue es mit Begeisterung, besaß eine Zeitlang sogar ne C-Lizenz und liebe den schmalen Grad zwischen Haft- und Gleitreibung. Allerdings habe ich die Physik unterschätzt. Eine Illusion zu denken, ein Auto in allen Situationen beherrschen zu können. Warum? Kommt jetzt:
Ich war mit meinem offenen Sportwagen auf der A1 unterwegs. Leider zog ein roter Opel urplötzlich raus. Den Moment, in dem mir klar wurde, dass der wenige Platz zwischen Leitplanke und Opel genauso wenig ausreichte wie der Abstand zwischen ihm und mir, werde ich nie vergessen. Selbst als Matheaufgabe hätte mein Bremsweg nicht ausgereicht. Ich hab das Lenkrad verrissen und bin in die Leitplanke. Es ging nicht anders. Leider hatte ich 215km/h drauf und der Wagen keinen Heckflügel, um den Auftrieb, den er auf die Hinterachse bekam, abzufedern, weil ich ja auch noch gleichzeitig vom Gas ging. Mit anderen Worten: Er hob hinten ab und flog mit der Schnauze in die Leitplanke. Wobei der Aufprall auch mit Heckflügel unvermeidbar gewesen wäre. Wir überschlugen uns (laut Zeugenaussagen) auf einer Länge von 300 Metern über der gesamten Fahrbahn und der Leitplanke. Mir war schon klar, dass es teuer würde, als ich nur noch Dreck und blauen Himmel vor mir sah. Und zwar gleichzeitig. By the way: Da war nix. Kein Film über mein bisheriges Leben, kein helles Licht, nicht mein Opa, der mich anlächelte und sagt: Geh nicht ins Licht. Hätte es mich erwischt, wäre da gar nichts gewesen.
Den Fliehkräften hilflos ausgeliefert, wurde ich herumgeschleudert wie eine Puppe und konnte nichts tun. Mein rechter Arm hing in der Luft und ich bekam ihn nicht herunter. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam der Wagen auf allen Vieren zum Stehen. Endlich. Die Fahrertür stand offen, beide Seitenfenster waren weg, die Windschutzscheibe hatte ein paar Risse und der Gurt hing an mir herab. Merkwürdigerweise dachte ich: Mist, jetzt brauch ich wohl einen neuen Kotflügel und eine neue Windschutzscheibe. Ich habe in jenem Augenblick nicht realisiert, dass mehr geschehen sein musste. Jetzt stand ich mitten auf der Autobahn und hatte Angst; hab auf die Einschläge gewartet, dass weitere Autos in mich hineinfuhren und Menschen zu Schaden kämen. Ein Horror! Meine größte Angst war, dass ich jemanden verletzten könnte, das hätte ich mir nie verziehen. Doch zwei LKW bremsten alle aus und blockierten die Autobahn und nirgends standen beschädigte Autos. Das war die gute Nachricht! Den LKW-Fahrern werd ich ewig dankbar sein, denn während sich mein Auto wie ein Karussell drehte, fuhren um mich herum immer noch Autos weiter. Unter dem Wagen lief blaue Flüssigkeit aus und ich drehte den Schlüssel schnell rum und zog ihn ab. Die ersten Leute kamen angelaufen. „Wie, Sie leben? Sie haben schwere innere Verletzungen, nicht bewegen.“ Quatsch, ich wollte aussteigen und ungern im Auto verbrennen und vor allem wollte ich aus dem Fokus heraus, auf der gegenüberliegenden Fahrbahn standen die Autos ebenfalls und gafften. Ich nahm Handtasche und Handy aus dem Fußraum der Beifahrerseite, jemand kam mit meiner Sonnenbrille in der Hand, die auf der Autobahn gelegen hatte und ich nahm meine zerkratzte Chanel bedauernd aber dankend entgegen. Sie war mir wohl abgeflogen, denn ich bin mit offenem Verdeck gefahren.
Gott, hab ich mich geschämt, ich habe mich bei allen Umstehenden entschuldigt. Sowas sei mir noch nie passiert und ich wüsste, wie ärgerlich das sei; meinetwegen könnten sie ruhig fahren. Nein, alle wollten brav mit mir auf die Feuerwehr warten, welch liebe Menschen! Einer schenkte mir eine vergoldete Kette mit einem Glückspfennig, denn heute sei mein zweiter Geburtstag.
Meine Lederjacke war voller Macken und meine lange Lockenmähne hat mich davor bewahrt, Verletzungen im Gesicht abzubekommen. Als ich mein Haar ausschüttelte, fielen hunderte Glassplitter heraus. Es war mir alles furchtbar peinlich, ich setzte mich hinter einen LKW auf eine Leitplanke und schämte mich zu Tode. Feuerwehr, Notarzt, Polizei, alle kamen um den LKW herum auf die kleine Menschentraube zugelaufen: „Wo sind die Toten, wo die Schwerverletzten?“ Die Menschen teilten sich und alle starrten mich an. „Nein, das kann nicht sein. Wo ist der Fahrer?“ Ich hielt stumm meine rechte blutende Hand hoch und entschuldigte mich ein weiteres Mal. Ein Arzt wollte einen Pressverband machen, da mir das Blut in meinen Ärmel lief. „Nix da,“ sagte ich. „Zuerst wird geröntgt.“ Auf meinem Handrücken klaffte eine Wunde und es guckten weiße Stücke heraus. Ich vermutete Scherben aus den Seitenfenstern, aber ich muss dem Arzt zugutehalten, dass die Stücke wirklich so aussahen, als wären es Knochen. Jedoch hielten sich die Schmerzen in Grenzen, also bewegte ich die Hand nicht und hoffte das Beste. Der Notarzt verabschiedete sich und ein Sani führte mich zum Krankenwagen. Ich trug ja meine 10cm Pumps und man dachte wohl, ich würde jeden Moment tot umfallen. Da sah ich ihn. Mein Autoli. Mein Ein und Alles. Und brach in Tränen aus. Er hatte sich für mich geopfert, nichts war mehr heil. Nichts. Geopfert, jawohl! Es gab keine Schutzengel, aber dieses Auto. MEIN Auto. Es hatte mich gerettet! Wir waren auf der Nordschleife bestens bekannt und nun hatte er sein Leben auf der schnöden A1 ausgehaucht. Die Erinnerung daran treibt mir immer noch Tränen in die Augen. Es war so ein schönes Auto. Der Überrollbügel hinter der Kopfstütze war von der Leitplanke aufgeschlitzt, wäre ich 10cm größer gewesen, hätte sie mich geköpft. Die Türschließe mitsamt der Gurthalterung – weg. Hätte ich sich der Wagen nur noch einmal gedreht, wäre ich rausgeflogen. Im Notarztwagen klingelte meine Handtasche. Ein Polizist wollte Geld von mir fürs Unfallverursachen. Der rote Opel war weg, er hatte nichts davon mitbekommen, dass ich ihm das Leben gerettet hatte. Gott sei Dank buchen die Freunde und Helfer ab, darum durfte er sich an meiner Handtasche bedienen, Führerschein, Fahrzeugschein und Kreditkarte suchen, während ich mich auf die Bahre legen musste. Ich bat den Polizisten, ob er mal schauen könnte, wer da anrief, während ich nur im schwarzen Spitzen-BH von dem attraktiven Sani abgehört wurde, der nicht fassen konnte, dass ich äußerlich unverletzt war. Wie viel ich denn draufgehabt hätte. Brav gab ich 160 an, woraufhin nur allgemein geschmunzelt wurde. „Schatz, steht auf dem Display“, las der Polizist vor. „Wollen Sie das Telefon haben?“ – „Bloß nicht,“ war meine Antwort. „Der regt sich nur auf und kann im Augenblick eh nichts tun.“ Ich wollte nicht, dass er sich in Panik um mich selbst totfuhr. Jetzt war der Sani schockverliebt, aber ich hatte auch meinen Lieblings-BH an, und der Polizist murmelte anerkennend:“Sowas hab ich in 25 Dienst nicht erlebt, dass jemand nach solch einem Unfall so cool bleibt.“ Ich war nicht cool, mein Auto war tot, aber ich konnte klar denken. Manchmal kann ein Segen sein – oder Fluch.
Im KH stellte sich heraus, dass ich recht hatte: Eine Pinzette entnahm die Splitter und vier Stiche flickten die Wunde. Ich konnte nach Hause, hatte mehr Glück als Verstand. Draußen rief ich Schatz an. Er kam eine Stunde später um mich abzuholen und als ich berichtete, wurde er still. Das war merkwürdig. Verwundert löste ich mich aus seiner Umarmung. „Was denkst du?“, wollte ich wissen. „Ehrlich? Wie gut, dass ich nicht daneben saß.“
Am nächsten Tag rief der Sani an und kam mit Blumen vorbei.
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